Mal ganz verrückt sein: Schicksalhaftes Schiras

Einfach mal loslassen

Rund und glücklich gefuttert kugeln wir unsere Bäuchlein aus dem Restaurant Richtung Basar. Mir ist danach, irgendwo noch einen Tee zu trinken. Elaheh empfängt meinen Wunsch wie der Terminator höchstpersönlich: Ich habe einen Auftrag! Schon will sie das nächsten Geschäft vor dem Basar-Eingang ansteuern, um sich dort nach einem Café zu erkundigen, aber ich halte sie zurück: „Ela, lass uns doch mal etwas ganz Verrücktes tun und ohne Plan ins große Abenteuer starten!“ sage ich augenzwinkernd. Da muss sie lachen. Wir hatten schon zuvor gewitzelt, dass sie deutscher ist als ich. Alles muss zu 120% sichergestellt sein. Sie fragt nicht ein Mal, sondern vorsichtshalber drei Mal nach dem Weg, um den möglichen Fehlerquotienten niedrig zu halten. Ich hingegen lasse mich gerne mal treiben.

Wir sind sind schon ein drolliges Team, das sich allerdings optimal ergänzt. Ohne ihr perfektes Planungstalent würden wir weit weniger sehen in der kurzen Zeit. Dafür interveniere ich zwischendurch, wenn die Grenze zum Wettlauf fließend wird. Und so ziehen wir jetzt einfach mal nach meiner Art los und tauchen in die Welt des bunten Basars ein. Der Tee eilt ja schließlich nicht ultimativ.

Ein orientalischer Basar zum Verlieben

Wir biegen wahllos mal links mal rechts ab im Labyrinth der Basar-Gänge und bleiben schließlich an bunten Kissenbezügen, Tischdecken & Co hängen. Es glitzert nur so um die Wette und auch die Standinhaber wetteifern selbstverständlich um unsere Gunst. Wir kehren schließlich zu dem Nettesten zurück, der uns nix aufdrängen wollte, sondern durch seine Engelsgeduld bestach. „Hm, welche Maße hat wohl mein Tisch, ich bin mir einfach nicht sicher … kannst du die größere Decke noch einmal in einer anderen Farbe für mich ausbreiten?“ Er tat mir schon ein bisschen leid. 😉

Im Lebensmittel-Bereich fliegen uns die schönsten Dürfte entgegen. Gierig kleben meine Blicke an den Auslagen fest, die farbenfroh und aromatisch locken. Aber ich halte mich zurück, da ich das Syndrom kenne. Meine Küchenregale krachen bald von der Wand vor lauter Kräutern und Tees, die ich mir regelmäßig von den Märkten Istanbuls mitnahm.

Als wir in die Schmuck-Gassen gelangen, setzt bei mir ein bisschen Schnappatmung ein. Ich liebe Türkise und bin tatsächlich derart überfordert, dass ich mich einfach zwinge, weiterzugehen. Es liegen noch zu viele Tage vor mir, als dass ich hier meine letzten Rial lassen sollte.

Aber im nächsten Laden knicke ich dann doch ein. Hey, Armbänder habe ich noch nicht so viele! Mit dem Argument überzeuge ich mich zufrieden und bin heute sehr froh darum, weil sie mich jeden Tag an Schiraz erinnern. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich sie nicht trage und in kleinen Insider-Witzen wurden sie bereits zu meinem Markenzeichen. Eines darunter ist das Geschenk eines alten Mannes, der aus dem hinteren Bereich des Ladens auf einmal zum Leben erwacht, als er Elaheh und mich sieht. Wir wissen bis heute nicht, was er uns erzählt hat (selbst Ela verstand ihn nicht), aber es gingen drei glückliche Menschen aus der Begegnung hervor.

Wir sind inzwischen in einem Innenhof des Basars angelangt. Vögel zwitschern und trotz Winter macht sich eine lauschige Sommerabendstimmung breit.

Nicht jeder hat faire Chancen

Ein Junge kommt auf uns zu, der ein kleines Kästchen mit „Schicksalskarten“ und zwei Wellensittiche bei sich hat. Er fordert uns dazu auf, die Sittiche Kärtchen ziehen zu lassen. Wir gehen darauf ein, weil wir neugierig sind, mehr über ihn zu erfahren. Es stellt sich heraus, dass er ein kluges Bürschchen ist, der sich Phrasen in sämtlichen Sprachen angeeignet hat, auf die er aber sogar auch sofort reagieren kann, wenn eine Antwort folgt. Ein helles Köpfchen und wir wissen: Seine Ausgangslage ist echt suboptimal. Er muss in seinem zarten Alter selbst für Geld sorgen und nutzt dafür eben Touristen. Gerade, als wir tiefer mit ihm ins Gespräch kommen, wird er auch schon von Ladenbesitzern verscheucht, die ihn als geschäftsschädigenden Schmarotzer ansehen, der potentielle Kunden verjagt.

Wunderbare Begegnungen

Wir ziehen weiter durch die Gassen und werden schließlich freundlich von einem Mann angesprochen, der wie der liebe Opa von Heidi von der Alm aussieht. Er erkundigt sich interessiert, wo wir denn herkommen und ob er uns vielleicht zu einem Tee einladen dürfe. Aha! Siehe da – so spielt der Zufall, wenn man ihn lässt. Gemeinsam schlendern wir unter seiner Führung weiter und gelangen zu einem Café, dessen Eingang bereits den orientalischen Tagtraum eines Europäers erfüllt.

Er stellt sich als Malik vor und berichtet uns davon, dass er am Vormittag einen Japaner kennengelernt hätte, von dem er auch Japanisch gelernt habe. Zum Beweis breitet er eine Papierserviette vor uns aus, auf der diverse Übersetzungen aus dem Englischen ins Japanische stehen. Malik ist Rentner und verbringt seine Zeit damit, durch die Gegend zu streifen, Menschen kennenzulernen, seine Hilfe anzubieten und dadurch selbst viel mitzunehmen.

Auch wir profitieren neben der sympathischen Begegnungen von seinem Wissen. Wir wollen z.B. gerne Persepolis besuchen und Malik hat sofort die Telefonnummer eines Taxifahrers parat, mit dem an Ort und Stelle ein unschlagbarer Preis ausgehandelt wird. Und als er von unseren Plänen für den nächsten Tag hört, empfiehlt er uns sogleich: „Wenn ihr die pinke Moschee wirklich genießen wollt, besucht sie morgens, wenn die Sonne durch die Fenster scheint!“

Ohne Malik hätten wir womöglich unsere nächste hilfreiche Bekanntschaft in der pinken Moschee und einen unbezahlbar schönen Ausflug nach Persepolis verpasst. Aber dazu das nächste Mal mehr. Fürs Erste sei festgehalten: Manchmal ist fließen lassen besser als planen. 😉

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